Grüne Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Belgien

Grüne Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Belgien

Belgien orientiert seine Energiepolitik verstärkt an grünem Wasserstoff, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Im Zentrum stehen importgestützte Lieferketten, heimische Elektrolyse aus erneuerbaren Quellen, der Ausbau von Transport- und Speicherinfrastruktur sowie industrielle Leitmärkte. Regulatorik, Forschung und regionale Kooperationen setzen den Rahmen.

Inhalte

Belgischer Energiemix und H2

Belgiens Energieprofil vereint hohe Importabhängigkeit mit starker Nordsee-Windbasis und signifikanter Kernenergie. Im Stromsystem liefern Offshore-Windparks zunehmend emissionsarmen Strom, während Erdgas weiterhin Spitzenlasten glättet und Stromimporte die Netzstabilität stützen. Diese Struktur schafft günstige Voraussetzungen für die Erzeugung von grünem Wasserstoff in Erzeugungsspitzen und für den gezielten Einsatz in Industrieclustern. Die folgende Übersicht zeigt die Rolle zentraler Energieträger und ihre typischen Bandbreiten im Strommix (indikativ):

Energieträger Anteil (Richtwert) Rolle im System
Kernenergie 35-50% Grundlast, CO2-arm
Erdgas 25-35% Flexibilität, Spitzenlast
Wind (on/offshore) 15-25% Variabel, Nordsee-Schwerpunkt
Solar 5-10% Mittags-Peaks, dezentral
Importe/sonstige 10-20% Ausgleich, Handel
  • Flexibilitätsbedarf: Fluktuierende Einspeisung aus Wind/Solar erhöht den Wert von Elektrolyseuren als Lastmanagement.
  • Industriecluster: Häfen und Chemie in Antwerpen-Brügge begünstigen schnelle H2-Nachfragebündelung.
  • Infrastrukturvorteil: Dichte Gasnetze und Interkonnektoren erleichtern die spätere Umstellung auf H2.

Grüner Wasserstoff ergänzt den Erneuerbaren-Ausbau durch saisonale Speicherung, Netzstützung und die Dekarbonisierung schwer elektrifizierbarer Sektoren wie Chemie, Raffinerien, Stahlvorprodukte und Schwerlastlogistik. Für einen skalierbaren Markthochlauf sind Offshore-Strom, Hafenlogistik und Netzanbindung zu einem integrierten Wertschöpfungssystem zu verknüpfen, das Produktion, Import, Transport, Speicherung und verlässliche Abnahme koppelt.

  • Erzeugung: Elektrolyse nahe Offshore-Wind und industriellen Lastzentren; Abwärmenutzung und Wasseraufbereitung mitdenken.
  • Importdrehscheiben: Terminals für Ammoniak/LOHC in Antwerpen-Brügge und Zeebrugge als H2-Gateways.
  • Netze: Nationaler H2-Backbone mit Anbindung an NL/DE/FR; schrittweise Umwidmung bestehender Leitungen.
  • Zertifizierung: GoO/RED-konforme Nachweise, klare Abgrenzung erneuerbar vs. low-carbon für handelbare Produkte.
  • Marktmechanismen: (C)fD für H2 und Grundstoffverträge, Bündelung der Nachfrage in Clustern, CO2-Preis-Signale.
  • Systemintegration: Elektrolyse als netzdienliche Last, Power-to-X-Kopplung, Speicher- und Sicherheitsstandards.
Beispiel-Szenario 2030-2035 Indikativ
Elektrolyse-Kapazität (Küsten/Industrie) 0,5-1,5 GW
H2-Importe (H2-äquivalent) 0,1-0,3 Mt/Jahr
Grüner H2 in Chemie/Raffinerie 10-20% Abdeckung
LCOH Küstenstandorte 2,5-4,0 €/kg
CO2-Einsparungen 1-3 Mt/Jahr

Netzausbau und Importpfade

Belgiens Wasserstoffnetz wächst entlang industrieller Wertschöpfungskorridore: Die Umwidmung bestehender Erdgasleitungen und der Bau dedizierter Trassen schaffen eine durchgängige Backbone-Verbindung zwischen den Häfen Antwerpen-Brugge und Zeebrugge, den Clustern Gent und Lüttich sowie den Grenzkuppelpunkten zu den Niederlanden, Deutschland und Frankreich. Ein abgestimmtes Vorgehen von Netzbetreibern (z. B. Fluxys für Moleküle, Elia für Strom) verzahnt Elektrolyse-Standorte, Speicheroptionen und Hafenlogistik. Priorität hat die frühzeitige Trassensicherung, der Einbau von Verdichtern und Messstellen für 100% H2 sowie die Integration von Qualitätssicherung und Rückfallebenen für unterschiedliche Trägermedien (z. B. Ammoniak, LOHC) in Hafen- und Industriearealen.

  • Korridore: Antwerpen-Zeebrugge-Gent-Lüttich; Anbindungen an Rotterdam, Ruhrgebiet, Lille
  • Hubs: Hafen-Terminals mit Crackern, Puffer- und Druckspeichern, Einspeisepunkten
  • Netzregeln: Kapazitätsauktionen, einheitliche Gasqualitäten, transparente Netzentgelte
  • Sicherheit: Materialstandards, Leckage-Detektion, Inertisierung, ATEX-konforme Zonen
  • Digitalisierung: Echtzeit-Monitoring, Wasserstoff-GOs, bilanzkreisscharfe Nachverfolgung

Diversifizierte Importpfade minimieren Versorgungsrisiken: Pipeline-Verbindungen aus der Nordsee und über Frankreich ergänzen Seetransporte von grünem Wasserstoff in Form von Ammoniak, LOHC oder verflüssigtem H2. Hafennahe Anlagen übernehmen Umwandlung und Qualitätssicherung, während langfristige Abnahmeverträge, Zertifizierung (Guarantees of Origin) und CO2-Bilanzierung die Investitionssicherheit erhöhen. Die Staffelung der Inbetriebnahmen ermöglicht frühe Skaleneffekte und flexible Allokation zwischen Industrie, Schwerverkehr und Rückverstromung in Spitzenlastsituationen.

Korridor Vektor Entry-Point Start Volumen
Nordsee Pipeline (H2) Zeebrugge 2030 10-15 TWh/a
Iberia-FR-BE Pipeline (H2) Wallonie (FR/BE) 2031+ 5-10 TWh/a
MENA Schiff (NH3) Antwerpen-Brugge 2028+ 15-20 TWh/a
Nordafrika Schiff (LOHC) Gent 2029+ 3-6 TWh/a
NL/DE-BE Pipeline (H2) Limburg 2032+ 4-8 TWh/a
  • Zertifizierung: Harmonisierte GOs und Nachhaltigkeitskriterien entlang der Lieferkette
  • Infrastruktur: Cracker-Kapazitäten, Kälteketten, Emissionsarme Hafenabfertigung
  • Marktdesign: CfD, Abnahmegarantien, Flexibilitätsmärkte für saisonale Speicherung
  • Resilienz: Redundante Einspeisepunkte, strategische Reserven, Notfallprozeduren

Industrie-Hubs und Piloten

Die nationale Wasserstoffarchitektur setzt auf räumlich gebündelte Wertschöpfung: In Industrieclustern mit Hafenanbindung, vorhandenen Pipelines und starker Netzinfrastruktur sinken Transport- und Umstellungskosten, während Skaleneffekte den Markthochlauf beschleunigen. Priorisierte Knoten verbinden Offshore-Wind, Importketten und industrielle Abnehmer über offene, konvertierbare Leitungen und standardisierte Umschlagpunkte (z. B. Ammoniak-Cracking, LOHC, synthetische Kraftstoffe). So entsteht ein interoperables Netz mit europäischer Anschlussfähigkeit (Benelux-Rhein-Ruhr-Nordfrankreich) und klaren Investitionssignalen.

  • Antwerpen-Brügge: Chemie- und Raffineriecluster, Import-Terminals, große Wasserstoff- und Derivate-Nachfrage, Anbindung an Backbone und CO2-Infrastruktur.
  • North Sea Port (Gent): Stahl, Düngemittel und Chemie; grenzüberschreitende Industriekette mit direkter Kopplung an Offshore-Wind und künftige Elektrolyse-Kapazitäten.
  • Zeebrugge: Energie-Umschlag, geplanter Ausbau für H2-Derivate, Pilot-Elektrolyseure für Systemdienstleistungen und saisonale Flexibilität.
  • Liège: Inlandshub mit Binnenschiff- und Bahnlogistik für Glas, Metalle und zirkuläre Prozesse; Verteilung in die Wallonie.

Der Markthochlauf wird durch skalierende Demonstratoren unter realen Betriebsbedingungen getragen: Pilot- und Frühphasenprojekte testen Repowering von Gasleitungen für reinen H2, industrielle Brennstoffsubstitution (Hochtemperatur-Wärme, Direktreduktion), Hafenlogistik für Derivate sowie Schwerlast-Betankungskorridore. Erfolgsfaktoren sind offene Zugangstarife, durchgängige Mess- und Sicherheitsstandards, belastbare Abnahmeverträge und Datenaustausch über gemeinsame Monitoring-Plattformen.

Projekt Standort Fokus Skalierung
Hyoffwind Zeebrugge PEM‑Elektrolyse, Netzdienstleistungen 25-100 MW (phasenweise)
SeaH2Land Gent/Antwerpen (Cluster) Industrieversorgung, Backbone‑Anschluss bis 1 GW (stufenweise)
H2‑Importkette Antwerpen‑Brügge Ammoniak‑Cracking, Derivate‑Umschlag Modulare Terminals
Pipeline‑Pilot National (Flux) Umwidmung NG‑Leitungen auf H2 30-50 km Testsegmente
H2‑Korridor Benelux‑Achse 350/700‑bar HRS, Schwerlast Netz aus 10-20 Stationen

Anreize und CO2-Bepreisung

Ein konsistentes Zusammenspiel aus Investitionsanreizen und einer ambitionierten CO2-Bepreisung setzt die Leitplanken für grünen Wasserstoff in Belgien. Ein national abgestimmter CO2-Preiskorridor mit Mindestpreisen, eng an EU-ETS und CBAM gekoppelt, schafft Planbarkeit und verhindert Carbon-Leakage. Ergänzend stabilisieren Carbon Contracts for Difference (CCfD) die Betriebskosten von Elektrolyseuren, indem Differenzen zwischen Markt- und Referenzpreisen (ETS) ausgeglichen werden. Netzdienliche Flexibilität – etwa Lastverschiebung bei hoher erneuerbarer Erzeugung – sollte durch reduzierte Netzentgelte und priorisierte Netzzugänge honoriert werden, während Einnahmen aus der CO2-Bepreisung gezielt in erneuerbare Stromverträge (PPA-Bündel) und Infrastruktur fließen.

  • CAPEX-Förderung für Elektrolyseure und Speicher (IPCEI-kompatibel)
  • OPEX-Prämien/CCfD für Koppelprodukte in Stahl, Chemie, Raffinerien
  • Quoten für RFNBOs in Ammoniak, E‑Fuels, Raffinerie-Wasserstoff
  • Beschaffung von H2-Bussen/Zügen und Hafenbetankung (Antwerpen‑Brügge)
  • Steuerliche Superabschreibung für H2-Anlagen und Elektrolyse-Strombezug
  • Garantien für Herkunft und strenge Zusätzlichkeit beim Strom

Wirkungsvolle Anreize bleiben kostenwirksam, wenn Vergaben über wettbewerbliche Auktionen mit Preisdeckeln und klaren Degressionspfaden erfolgen. Indizierte Förderhöhen an CO2-Preisniveaus (ETS/ETS2) begrenzen Windfall-Profite und beschleunigen Skalierung in Hafenclustern und Grenzregionen zu NL/DE. Ein sozial ausgewogener Ansatz rezykliert CO2-Einnahmen in Stromabgabenreduktionen für Elektrolyseure und in zielgerichtete Entlastungen für KMU, während Qualifizierungsprogramme den Übergang in H2-Wertschöpfungsketten flankieren. Einheitliche Zertifizierung und Grenzkuppelungen der H2-Netze sichern Importoptionen und erhöhen Versorgungssicherheit.

Jahr CO2-Preiskorridor (€/t) Förderfokus Wirkung
2025 60-110 CAPEX + Pilot‑CCfD Markteintritt
2027 80-140 Quoten + OPEX‑Prämien Hochlauf
2030 100-180 Auktionen, GO, Netzentgelte Kostensenkung

Belgien im EU-Marktdesign

Die Integration von Strom- und Wasserstoffmärkten schafft verlässliche Investitionssignale für Elektrolyseure, flexible Lasten und offshore Wind. Belgien nutzt hybride Offshore-Infrastrukturen (z. B. Energy Island in der Princess-Elisabeth-Zone, Nemo Link) und die europaweite Marktkopplung, um Preissignale zu glätten, Netzengpässe zu senken und langfristige Hedging-Instrumente zu stärken. Priorität haben strombasierte CfD für erneuerbare Erzeugung, grüne PPAs mit industrieller Abnahme sowie tarifliche Anreize von Elia für Nachfrageflexibilität, Speicherung und Lastverschiebung. Die Konformität mit EU-Beihilferegeln, REMIT-Transparenz und ACER-Überwachung stabilisiert Erwartungen und reduziert Kapitalkosten für RFNBO-Kapazitäten im industriellen Cluster Antwerpen-Brügge und entlang des geplanten H2-Backbone von Fluxys.

  • CfD-Logik: Differenzverträge für erneuerbaren Strom und für H2-Output (Dual-CfD), abgestimmt auf Vollbenutzungsstunden von Elektrolyseuren.
  • Zeit- und Grünstromkriterien: Umsetzung der RFNBO-Delegierten Rechtsakte mit stündlicher Korrelation und Guarantees of Origin.
  • Flexmärkte: Kapazitätsmechanismus mit CO₂-Schranken, Teilnahme von Demand Response, Speichern und Elektrolyseuren.
  • Offshore-Hubs: Hybride Interkonnektoren als Netzknoten für Wind, Handel und H2-Produktion an Land.
  • Risikoabbau: Langfristige Übertragungsrechte (FTRs), standardisierte grüne PPAs, H2Global-Spiegelauktionen.
EU-Instrument Belgischer Hebel Nutzen Zeithorizont
Hydrogen Bank Co-Funding mit nationalen Auktionen CAPEX-Senkung kurzfristig
Marktkopplung (SDAC/SIDC) Energy Island + Interkonnektoren Preisstabilität mittel
RFNBO-Regeln GoO-Registry & stündliche Matching-Tools Bankfähigkeit kurzfristig
CfD-Rahmen Output- und Strom-CfD kombiniert Planbarkeit mittel
Kapazitätsmechanismen CO₂-Design & Technologieoffenheit Systemsicherheit laufend

Die Roadmap verbindet Offshore-Wind mit industrieller Dekarbonisierung durch klare Auktionskalender, netzseitige Flexibilitätsmärkte und interoperable Zertifikate. Freight- und Chemie-Cluster in Antwerpen-Brügge, integrierte Pipelines zu NL/DE sowie Speicher- und Importoptionen (Ammoniak-Terminals) sorgen für Liquidität am entstehenden H2-Korridor. Ein konsistentes Zusammenspiel aus Netzentgeltsignalen, bilateralen PPAs, CfD-Auktionen und konformen Beihilfen verankert langfristige Preissignale, reduziert die Risikoaufschläge und beschleunigt den Markthochlauf klimaneutraler Moleküle im industriellen Herzen des Landes.

Welche Ziele verfolgt die grüne Wasserstoffstrategie Belgiens?

Die Strategie zielt auf Klimaneutralität bis 2050, die Dekarbonisierung schwer zu elektrifizierender Sektoren und die Stärkung der Energieversorgung ab. Priorität haben Effizienz, zusätzlicher erneuerbarer Strom, Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Akzeptanz.

Welche Rolle spielen Produktion und Importe?

Inländische Elektrolyse basiert vor allem auf Offshore-Wind aus der Nordsee, bleibt jedoch mengenmäßig begrenzt. Deshalb sind Importe zentral: Häfen Antwerpen-Brügge und Gent dienen als Hubs, mit EU-konformer Zertifizierung und diversifizierten Herkunftsländern.

Welche Sektoren sollen vorrangig dekarbonisiert werden?

Vorrang erhalten Grundstoffindustrien wie Chemie, Stahl und Raffinerien sowie Schwerlastverkehr, Schifffahrt und perspektivisch Luftfahrt. Im Gebäudebereich und bei Pkw ist grüner Wasserstoff wegen Effizienz und Kosten nur nachrangig vorgesehen.

Wie wird die notwendige Infrastruktur aufgebaut?

Geplant sind ein belgischer Wasserstoff-Backbone mit umgewidmeten Gasleitungen, Importterminals für Ammoniak, LOHC und LH2, Speicher in Salzkavernen sowie Cluster um die Häfen. Grenzüberschreitende Anschlüsse an NL, DE und FR sichern Marktzugang.

Welche politischen Instrumente und Zeitpläne sind vorgesehen?

Vorgesehen sind Investitionsförderung (u. a. IPCEI), Contracts for Difference für erneuerbaren H2, Quoten in Industrie und Verkehr, Herkunftsnachweise und Sicherheitsnormen. Meilensteine: 2025 Pilot, 2030 Markthochlauf, 2040 Netzausbau, 2050 Klimaneutralität.

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